Das Atmen ist die einfachste und gleichzeitig wichtigste Funktion des neuromuskulären Systems und
kann sowohl reflexartig (unbewusst) als auch gezielt eingesetzt werden. Täglich atmen wir zwischen
20.000 und 24.000 mal. Neben der lebensnotwendigen Funktion den Körper mit Sauerstoff zu
versorgen und das Kohlendioxid zu eliminieren, spielt das Atmen eine wichtige Rolle für das
psychische Wohlbefinden und die physische Leistung im Alltag und bei sportlicher Tätigkeit.
Eine inkorrekte Atmungstechnik führt früher oder später u.a. zur Kompensation von aufrechter
Haltung und einwandfreier Bewegungsausführung und dadurch zu Beschwerden/Verletzungen am
Bewegungsapparat.
Der wichtigste Muskel fürs Atmen ist das Zwerchfell, das neben der respiratorischen Funktion eine
große Rolle bei der Stabilisierung des Rumpfes und der Wirbelsäule spielt. Anatomisch betrachtet ist
das Zwerchfell innerhalb des Rippenbogens positioniert und durch seine Fallschirmform breitet es
sich in alle Richtungen aus (vorne, seitlich und hinten). Während der Einatmung bewegt sich das
Zwerchfell nach unten in den Bauchbereich und erlaubt somit die Aufnahme der O2-reichen Luft in
die Lunge. Gleichzeitig bewegt sich der Beckenbogen reflektorisch nach unten. Währenddessen
entsteht in dem gesamten Bauchgürtel ein physikalischer Druck der sogenannte Intra-Abdomineller-
Druck (IAD), der die Wirbelsäule stabilisiert. Bei der Entstehung vom IAD werden alle Muskeln rund
um die Wirbelsäule aktiviert, wie z.B. Transversus Abdominis, Multifidi, die gesamte
Bauchmuskulatur und die tiefliegenden Rückenstrecker und dadurch wird der Rumpf komplett
stabilisiert. Der IAD dient also als eine Art von Turbo-Modus für mehr Stabilität und
Krafterzeugung während einer steigenden Belastung beim Sport und Alltag und kann gezielt
trainiert und eingesetzt werden. Voraussetzung für die Entstehung vom IAD ist die korrekte
Funktion vom Zwerchfell und eine aufrechte Körperhaltung.
Wäre dies nicht der Fall dann werden sehr oft (bewußt oder unbewußt) kompensierte
Atmungsmuster angewendet. Die typische Brust- & Bauchatmung (exzessive Rectus Abdominis
Aktivität) hat den Verlust der 3-D-Mobilität des Rippenbogens als Folge und hindert den vollen
Bewegungsablauf des Zwerchfells (respiratorische Dysfunktion). Dadurch entstehen auch
Verspannungen in den Scalenen und SCM Muskeln, da diese Muskulatur beim Atmen stark eingesetzt
wird. Dadurch entsteht auch die typische Kopfvorwärtshaltung, da die Nackenmuskulatur gezwungen
wird das Atmen zu steuern und den Brustkorb zu heben.
Graphische Darstellung vom Intra-Abdominellen Druck (IAD)
Bildquelle: The International Journal of Sports Physical Therapy | Volume 8, Number 1 | February
2013 DYNAMIC NEUROMUSCULAR STABILIZATION & SPORTS REHABILITATION
Eine korrekte funktionelle Atmungstechnik basiert auf die dreidimensionale (nach vorne, hinten
und seitliche) Anspannung des Zwerchfells mit der gleichzeitigen Ansteuerung des Beckenbodens
und Bauch-/Rückenbereichs. Der IAD erfolgt also durch das erfolgreiche Zusammenspiel zwischen
Zwerchfell, Beckenboden und Rumpfmuskulatur.
Die korrekte Zwerchfellatmung erfolgt durch die die dreidimensionale Bewegung des Rippenbogens
während des Atmens. Der Rippenbogen sollte eine fließende Bewegung nach vorn/hinten und lateral
einhalten. Somit wird die optimale Bewegungsfreiheit für das Zwerchfell während der Atmung
gewährleistet.
Eine hervorragende Übung um die Zwerchfellatmung zu optimieren und den korrekten Einsatz der
Rumpfmuskulatur zu ermöglichen ist das Ein- und Ausatmen in einem Luftballon.
Der Patient/Sportler wird gebeten, den Luftballon mit einer Hand zu halten, einzuatmen durch die
Nase mit der Zunge am Gaumen (normale Ruheposition) und danach durch den Mund in den
Luftballon auszuatmen. Das Einatmen bis zu etwa 75 % des Maximums dauert typischerweise 3–4
Sekunden, und das vollständige Ausatmen dauert normalerweise 5–8 Sekunden, gefolgt von einer
Pause von 2–3 Sekunden. Es wird angenommen, daß diese verlangsamte Atmung das
neuromuskuläre System/parasympathische Nervensystem weiter entspannt und im Allgemeinen den
Muskeltonus im Ruhezustand verringert. Idealerweise kann der Patient/Sportler wieder einatmen,
ohne den Luftballon mit den Zähnen, Lippen oder Fingerspitzen abzukneifen. Dies erfordert die
Aufrechterhaltung des intraabdominalen Drucks, um eine Inhalation durch die Nase zu ermöglichen,
ohne daß die Luft aus dem Luftballon in den Mund zurückströmt. Dieser Prozeß wird 4-5 mal
wiederholt bzw. mit der Luftballon voll mit Luft gefüllt wird. Nach der letzten Einatmung nimmt der
Patient/Sportler den Luftballon aus dem Mund und läßt die Luft aus dem Luftballon raus während er
tief ausatmet. Diese Technik kann in beliebigen Positionen ausgeführt werden, wie z. B. in der
Rückenlage, im Sitzen, im Stehen u.v.m.
Die Forscher nehmen an, daß der Widerstand des Luftballons während des Ausatmens eine Erhöhung
der Aktivierung der Bauchmuskulatur erfordert und daher die Fähigkeit der Bauchmuskeln, sich dem
Zwerchfell entgegenzustellen und die optimale Position des Brustkorbs während des Ausatmens zu
unterstützen. Die Aktivierung/Einstellung der Bauchmuskeln zieht die unteren Rippen nach unten
und innen (kaudal und posterior) und hilft, die paraspinalen Muskeln (Rumpfstrecker) zu hemmen/zu
entspannen, was dazu beitragen kann, die Lendenlordose des Patienten/Athleten und die Schmerzen
in der paraspinalen Region zu verringern Gegenseitige Hemmung. Die Bauchmuskeln erzeugen kein
nennenswertes Drehmoment oder Bewegung in der Wirbelsäule und fungieren in diesem Fall als
Stabilisatoren der Rippen während des Atmens, nicht als Antriebskräfte.
Eine Möglichkeit die Zwerchfellatmung zu trainieren bietet die folgende Übung: Liegend in der
Rückenlage mit einem Theraband um den gesamten Rippenbogen gewickelt. Das Theraband wird vor
dem Körper unterhalb der Rippenlinie gekreuzt und die zwei Enden werden seitlich am Körper in X-
förmiger Position in beiden Händen in leichter Spannung angehalten. Die Beine werden am besten
hochgestellt (bessere Stabilisierung für die Lendenwirbelsäule und Aufrichtung für die Rumpf- und
Halsmuskulatur). Es wird bewußt und langsam durch die Nase eingeatmet (für 4-5 sec) die Luft wird
kurz eingehalten (für 2-3 sec) und danach wird durch den Mund ausgeatmet (für 4-5 sec). Während
des Einatmens sollte das Theragym Band in alle Richtungen gleichmäßig angespannt werden (vorne,
seitlich und hinten), das Brustbein, die Halsmuskulatur und der Rump sollten möglichst stabil bleiben.
Bei der Ausatmung kehrt das Theragym Band und somit der Rippenbogen in der Ausgangsposition, es
findet hier wieder keine deutliche Veränderung im Brustbein, HWS und LWS. (s. Foto). Man kann 3-4
Wiederholungen machen und das Verhalten des Rippenbogens betrachten. Die gleiche Übung/Test
kann im Sitzen oder im Stehen durchgeführt werden, wobei dann die Kompensationsgefahr und evtl.
Fehlhaltung höher wären.
Anschließend zu den beiden Testübungen kann man noch folgende Übungen verwenden, um den
neuen Atemmuster zu trainieren:
In Rückenlange mit den Beinen angewinkelt einen großen Gymnastikball zwischen den Händen und
den Oberschenkeln greifen. Der Ball berührt sanft die Bauchdecke, 4-5 Atemzyklen in den Ball
ausführen dabei die Anspannung in der gesamten Bauchdecke besonders seitlich am Ball spüren.
In Rückenlange mit den Beinen angewinkelt die zwei Enden eines befestigten Theragymbands anspannen
und danach 4-5 Atemzyklen ausführen, die Schulter werden hier nicht angehoben (keine übermäßige
Aktivität am oberen Trapez)
Ähnlich wie bei der Übung davor dabei ein Bein bleibt angewinkelt und das andere wird über den
Boden gestreckt gehalten. Die eine Seite des Theragym Bands wird angespannt (kontralateral zu dem
angewinkelten Bein) und danach werden 3-4 Atemzyklen ausgeführt. Die LWS bleibt die ganze Zeit in
neutraler Position. Die Übung wird auf die andere Seite wiederholt.
In Unterarmstütze Position (Prone Plank) mit einem Halbball (z.B. TOGU® Jumper) unterhalb der
Hüfte. In der Position 4-5 Atemzyklen ausführen, Rumpf und Nacken bleiben durchgehend stabil.
Stehend gegen die Wand (leichte Prone Plank Variante) In der Position 4-5 Atemzyklen ausführen
Hüfte, Becken, Rumpf und Nacken bleiben durchgehend stabil.
In Seitlagestütz (Side Plank). Unteres Bein ist angewinkelt, oberes Bein wird angewinkelt nach vorne
gebracht und vorderer Fuß wird aufgestellt. 3-4 Atemzyklen ausführen Hüfte, Becken, Rumpf und
Nacken bleiben durchgehend stabil. Diese Übung wird auf der anderem Seite wiederholt.
Isometrische Kniebeugeposition (mit Box Unterstützung). 4-5 Atemzyklen ausführen Hüfte, Becken,
Rumpf und Nacken bleiben durchgehend stabil.
Nachdem diese Übungen sich eingespielt haben, sollte man langsam das neue funktionelle
Atemmuster in seinem Alltag und sportliche Aktivität langsam integrieren. Hier wird es sich wieder
am Anfang etwas merkwürdig und evtl. die Aktivitäten etwas anstrengender als üblich anfühlen.
Auch bei sportlichen Aktivitäten kann es am Anfang nötig sein, den Reiz der Aktivität (z.B. Dauer,
Last, Komplexität usw.) etwas zu verringern. Je mehr man die neue Atemtechnik einsetzt desto
besser wird das Zentralnervensystem geschult diese korrekt und automatisch anzuwenden. Danach
fühlt sich man stärker, leistungsfähiger, stabiler sowie mobiler. Für Menschen, die an chronischen
Rückenschmerzen leiden, wird die Linderung enorm sein, da die Wirbelsäule durchgehend von innen
stabilisiert wird und bei jeglicher Aktivität und Belastung reflektorisch geschützt wird.
Das Thema funktionelle Atmung ist Bestandteil der REBODY® FTCOACH Ausbildung und wird da
ausführlich erläutert und trainiert. Infos und Termine dazu findet ihr unter
http://www.rebody.eu/training/?lang=de oder einfach wenden an: ftcoach@rebody.eu
Autor: Panos Pantas
Promovierter Biochemiker und seit 20 Jahren Personal Trainer und internationaler
Referent für funktionelles Training in Europa und Asien. Seit über 8 Jahren ist er Inhaber von
REBODY™ Center in Barcelona (www.rebody.eu). Panos ist der Entwickler der REBODY®FTCOACH
Training und REBODY®PNF Training Ausbildungskonzepten und ist mit seinem internationalen Team
verantwortlich für dessen Inhalte und Verbreitung weltweit.